Lehrarbeit

Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus

Vor einigen Jahren erreichte mich eine Anfrage zur »Spielzeit«. Da sie im August gestellt wurde, handelte es sich nicht um einen Aprilscherz. Eine adäquate Antwort war angebracht. Der Schriftwechsel soll aufzeigen, dass unsere Lehrarbeit nicht immer todernst sein muss.

Die Anfrage:

Hallo, liebe Regelexperten!

Ich meine, es war das Spiel Babelsberg gegen Unterhaching. Letzte Szene: Ein Spieler drischt den Ball in den Strafraum der Babelsberger. Während der Ball in der Luft ist, pfeift der Schiedsrichter mit einem »Standard-Dreiteil-Pfiff« (in etwa »Pfff, Pfff, Pfff«) ab. Während des dritten Pfiffes fängt ein Babelsberger schon jubelnd den Ball mit den Händen im eigenen Strafraum auf.

Bisher bin ich davon ausgegangen, dass das Spiel erst nach dem Pfiff beendet ist und so zum Beispiel Tore, die während des Schlusspfiffes fallen, noch zählen. Das hieße in diesem Fall doch wohl Elfmeter für Unterhaching und darüber hinaus eine wie auch immer gefärbte Karte für den Babelsberger wegen absichtlichen Handspiels.

Nun, neben der Tatsache, dass eine solche Entscheidung wahrscheinlich die letzte im Leben dieses Schiedsrichters bedeutet hätte, bleibt auch die Frage, wie ein dreiteiliger Pfiff zu bewerten ist. Ist das Spiel zu Ende, wenn der Schiedsrichter anfängt zu pfeifen, oder endet das Spiel mit dem Schluss des Pfiffes, der mit der Interpretation einer mittleren Wagner-Oper zu vergleichen ist?

Das Interessante an dieser Situation erscheint mir, dass sie – wenn auch nicht so extrem – des Öfteren passiert, und im Gegensatz zu anderen Regelfragen nicht konstruiert ist.

Enno


Die Antwort:

Lieber Sportfreund,

da die Regelanfrage wegen des Moments des Spielendes bei einem Ostfriesen einging (in Bayern hätte man sich verarscht gefühlt ...) und mir »Spielchen« dieser Art Spaß bereiten, hier die »amtliche« Antwort: Die Länge des Schlusspfiffes variiert in der Tat: Sie ist nicht nur von Spielleiter zu Spielleiter unterschiedlich, nein, Wissenschaftler haben festgestellt, dass auch ein und derselbe Schiedsrichter ’mal längere und dann wieder kürzere Schlusspfiffe von sich gibt.

Es wurden folgende Abhängigkeiten entdeckt:

a) Theatralisch begabte Schiedsrichter ziehen den Pfiff um bis zu 215% von der Norm in die Länge.

b) Spielleiter, die die Anwesenheit eines Beobachters bemerkt haben (er beurteilt die Leistung des Referees) pfeifen zum Schluss länger und lauter, um Konditionsstärke zu demonstrieren.

c) Die Länge des Schlusspfiffes ist proportional abhängig von der Spielklasse: Von der Kreisklasse bis zur Bundesliga nimmt die Beschallung der Spieler und Zuschauer am Spielende um durchschnittlich 9% je Klasse zu.

d) Als letztes spielt auch die Psychologie eine nicht unwesentliche Rolle, wenn’s um die Länge des Schlusspfiffes geht. Ist der Spielleiter froh, ein schwieriges Spiel gut über die Runden gebracht zu haben, so wird aus dem Doppelpfiff manchmal sogar ein Vierfachpfiff. Schiedsrichter, die während des Spiels häufig Kritik ertragen mussten, begnügen sich mit einem kurzen Pfiff, der ob der Erlösung von der schweren Bürde allerdings lauter ausfällt.

Wissenschaftlich ausgedrückt: Die Häufigkeit und Intensität der Kritik am Spielleiter ist der Länge des Pfiffes umgekehrt proportional und der Lautstärke des Pfiffes proportional.

Aus den Ausführungen zu Punkt d) ergibt sich, dass der Schiedsrichter wegen der vielen Unwägbarkeiten zu Beginn des Spieles noch nicht weiß, wie die Länge des Schlusspfiffes ausfallen muss.

Der Niedersächsische Fußballverband hat deshalb bereits vor langer Zeit seine Referees angewiesen, nach 89 Minuten und 59,9 Sekunden mit dem Schlusssignal zu beginnen (die Zeit von 0,1 Sekunden gleicht die Zeit aus, die die Luft vom Mundstück bis zum Pfeifenloch benötigt). So ist gewährleistet, dass kein Akteur zusätzliche Leistungen erbringen muss. Von der Schiedsrichtergewerkschaft wurde diese Weisung mit Lob bedacht.

Abschließend kann festgestellt werden, dass in dieser Hinsicht anlässlich der bevorstehenden Weltmeisterschaft kein Grund zur Aufregung (und zum Nachdenken) besteht.

Mit freundlichen Grüßen
Ubbo Voss, Nieders. Leerwart