Nachgedacht

Schiedsrichterbeobachtung: Auf- und Abstieg bei den Fußballschiedsrichtern

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen ...

In der 2.Bundesliga kämpften die Vereine im Spieljahr 2002/2003 rund 51 Stunden lang um Tore und Punkte und damit um den Klassenerhalt und um den Aufstieg zur 1. Bundesliga. Aber erst in der Nachspielzeit fiel 30 Sekunden vor dem endgültigen Abpfiff der Spielserie die Entscheidung: Eintracht Frankfurt ist wieder erstklassig und Mainz 05 ist zum 3.Mal in den letzten Jahren kurz vor Toresschluss gescheitert. Bei vielen Fußballfans überwiegt das Bedauern über das Pech der Mainzer die Freude über den Wiederaufstieg der Frankfurter.

Von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt gibt es solche Rangkämpfe um den Auf- und Abstieg auch bei den Schiedsrichtern, und wie ein Beispiel aus vergangener Zeit beweist, geht es bei den Spielleitern nicht weniger dramatisch zu: Wolfgang Mierswa, jetzt Chef der Schiedsrichter im Niedersächsischen Fußballverband, galt vor einigen Jahren vor seinem vermeintlich letzten Einsatz als Bundesliga-Referee schon als sicherer Absteiger, als er – unbeschwert vom Leistungsdruck – in Kaiserslautern eine Traumnote erreichte. Ob weniger tausendstel Punkte musste sein Schleswig-Holsteinischer Kollege von der »Showbühne« abtreten.

Aus gutem Grund gelten die Leistungstabellen der Schiedsrichter als »top-secret«: Die Information, dass ein Spiel vom »abstiegsbedrohten Schiedsrichter Müller« geleitet wird, würde seinem Ansehen schaden und der Spielleitung höchst abträglich sein. Die Spielleiter erfahren übrigens nur ihre eigenen Beurteilungen, nicht aber die ihrer Kollegen. So ist es nicht verwunderlich, dass bei einem Zusammentreffen von Schiedsrichtern noch vor der Begrüßung nach dem Punktestand gefragt wird ...

Im Gegensatz zu den Fußballmannschaften »kämpfen« die Schiedsrichter nicht um 3 Punkte, sondern die Schiedsrichterbeobachter vergeben in 5 Kategorien jeweils 10 Punkte. Beurteilt werden das »Auftreten und Verhalten«, die »Spielkontrolle und die Spielstrafen«, die »Ausführung der Anweisungen«, die »Persönlichen Strafen«; sowie das »Laufvermögen und das Stellungsspiel«. Wertungen über 40 Punkte gelten als »gut«, die Zensur »sehr gut« wird mit 45 Punkten erreicht, ein »ausgezeichnet« (50 Punkte) wird nur höchst selten vergeben.

Wie im Märchen vom Aschenputtel werden auch die Schiedsrichter wie die Erbsen aussortiert: »Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen«. Nur jeder 100. Schiedsrichter leitet Spiele auf Verbandsebene, ein Oberligaspielleiter kann sich rühmen, einer von 300 zu sein, jeder 1000. niedersächsische Referee wird in der Regionalliga eingesetzt. Wie stark der Leistungsdruck in der Schiedsrichtergilde ist, lässt sich daraus ablesen , dass in diesem Jahr eine Durchschnittsleistung von 44 Punkten (gut und besser) nicht ausreicht, den Klassenerhalt in der Oberliga Niedersachsen/Bremen zu sichern.

Lediglich die Bundesligaschiedsrichter genießen neuerdings einen gewissen »Bestandsschutz«, da sie ihrer Aufgabe auf beruflicher Basis nachkommen. Statt der Minuspunkte werden ihnen bei schwachen Leistungen Spielleitungsaufträge entzogen: Zwei Spielleitungen weniger bedeuten 6000,- € Minus im Portmonee.

Die Schiedsrichterbeobachter werden vor dem Spiel von den SR-Teams hofiert und nach dem Spiel beim Bier unter Kameraden kritisiert. Das ist leicht zu erklären: Schiedsrichter, Beobachter sowie auch die Zuschauer (und die Presse) nehmen die Vorgänge auf dem Spielfeld unterschiedlich wahr. Da ein Schiedsrichterteam Fehler nicht absichtlich begeht, ist es von der Richtigkeit seiner Entscheidungen (fast immer) überzeugt. Der Schiedsrichterbeobachter hat es somit nicht leicht, seine Kritik an den Mann zu bringen. Zu den unterschiedlichen Sichtweisen möchte ich zwei Beispiele anführen:

Kürzlich wurde eine Schiedsrichterin in der Presse sehr gelobt, weil sie einem Spieler, der sich nach einer Verwarnung uneinsichtig zeigte und die Spielleiterin beleidigte, konsequent die gelb/rote Karte gezeigt hatte. Der SR-Beobachter dürfte der Dame 2 Punkte abgezogen haben, weil bei Beleidigungen ein totaler Feldverweis (nur Rot) vorgeschrieben ist. Oder: In einem Bezirksklassenspiel lenkte ein Gästespieler den Ball absichtlich mit der Hand ab. Die Zuschauer riefen laut »Hand! Hand!«. Der Schiri wartete lange 3 Sekunden, wohin das Leder gelangte und unterbrach erst dann das Spiel. »Auf Zuruf«, grölten die Fans und der »schwarze Mann« hatte bei ihnen verpfiffen. Der Beobachter aber vermerkte eine vorzügliche Anwendung der Vorteilsbestimmung.

Jürgen Bruns, langjähriger Fußballobmann des FC Norden, begrüßte mich in meiner Eigenschaft als Schiedsrichterlehrwart zu den Spielen der Ligamannschaft immer mit gemischten Gefühlen. Er deutete an, dass damit der Heimvorteil wohl dahin sei. So ganz falsch lag er mit dieser Einschätzung nicht, denn der Beurteilungsbogen hinterfragt in vielen Punkten direkt oder indirekt die Courage des Schiedsrichters. »Heimschiedsrichter« haben keine Chance, gute Wertungen zu erhalten.